10 Oktober 2015

Christen und Gefühle

Wenn es um Glaubensdinge geht, scheinen die meisten Menschen mit einer Art Grundskepsis gegen geistliche Gefühle und Erfahrungen ausgestattet zu sein, obwohl die menschliche Seele doch nach Gott "lechzt" wie der Hirsch lechzt nach Wasserbächen (Ps. 42, 1)

Wenn man dann zusätzlich auf Christen evangelikaler Prägung der "alten Schule" trifft, dann stellt man fest, dass diese ein tiefes Misstrauen gegen Gefühle haben, gegen die eigenen und die anderer. "Verlass Dich nicht auf Dein Gefühl, sondern glaube!" hört man da. "Die Gefühle stellen sich schon ein, wenn Du erst mal der Wahrheit des Wortes Gottes glaubst."

Subjektive, persöhnliche, geistliche Erfahrungen und Gefühle müssen "geprüft" werden und durch eine Art objektive Messung mit "etwas aus der wirklichen Welt", in jedem Fall außerhalb des Individuums verifiziert werden. Wir wissen ja alle, wie unstabil und unverlässlich emotionale Zustände sind ... dann gibt es ja auch so etwas wie Halluzinationen und überhaupt kann der Teufel falsche Gefühle hervorrufen ... innere geistliche Erlebnisse und Gefühle können andere Ursprünge wie Gott haben ... Du kannst solchen Dingen einfach nicht trauen ... Fast könnte man meinen, die Devise sei: "Wenn Du es erlebt und gefühlt hast, dann kann es nicht von Gott sein."

Ursache dieser Haltung ist die tiefe, reformatorisch-evangelikale Überzeugung, dass dem Motto "sola scriptura" nur durch das Mittel der Vernunft Folge zu leisten wäre, was jedoch ein krasser Irrtum ist. Es wäre dann ja wiederum nur einer Elite vorbehalten, die Dinge des Himmelreichs zu verstehen, denn ganz offensichtlich sind nicht alle Menschen mit einer gleichen Kapazität von Vernunftfähigkeit ausgestattet. Freut sich Jesus doch ausgerechnet darüber, dass der Vater, der Herr des Himmels und der Erde, dies vor Weisen und Klugen verborgen und es Unmündigen geoffenbart hat, denn so ist es ihm wohlgefällig gewesen. (Luk. 10, 21)

Abendländische, evangelikal geprägte Christen denken und glauben, dass die richtigen Gefühle von einem richtigen geistlichen Verständnis der Wahrheit des Wortes Gottes herrühren. Dass die Erkenntnis der Wahrheit von einem geistlichen Erleben und Fühlen kommen kann, ist ihnen scheinbar fremd. Aber nicht der Mehrheit der Menschen auf dieser Erde. Die sind eher der Auffassung, dass wenn man es nicht erleben und spüren kann, dann kann es auch nicht wahr sein. Auch die Menschen des Alten und Neuen Testaments waren eher so. Die haben meist erst dann begonnen zu glauben, nachdem sie Gott erlebt und gespürt haben. Der Evangelist Johannes schreibt: "Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, (erst)erkannt (oder erfahren) und (dann) geglaubt." (1. Joh. 4, 16) Ganz zu schweigen von verstehen, denn diese Liebe übersteigt alles Verstehen. (Eph. 3, 19)

Ein Beispiel, das verdeutlichen kann, was ich meine: Es gibt Christenmenschen, die sich Bücher über das Thema Gebet kaufen, weil sie alles übers Beten wissen wollen. Wenn sie diese dann gelesen haben, fühlen sie sich schlau und gehen dann zum nächsten Thema über. So jemand tauscht die Information über eine Sache gegen das Erleben der Sache selbst ein und betrügt sich selbst aufs Übelste.

Menschenskinder, hat nicht Paulus schon die Christen in Korinth gewarnt: "Erkenntnis bläht auf; aber Liebe bessert. Wenn jemand meint, er habe etwas erkannt, der hat noch lange nicht verstanden, worauf es wirklich ankommt. Wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt." (1. Kor. 8, 1+2) Und darauf kommt es an, dass Gott einen kennt. Ich möchte nicht irgendwann mal in der Verlegenheit sein, dass ich vor Gott stehe und der fragt mich dann: "Kenn' ich Dich?"

Keine Kommentare: